Ungewöhnliche Assessments in der Podologie


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Die Befunderhebung in der Podologie muss in kürzester Zeit viele Anforderungen erfüllen: eine Einschätzung des Risikoprofils, das Wahrnehmen von Alarmsignalen und der aktuellen, behandlungsbedürftigen Beschwerden. Die gesammelten Hintergrundinformationen sind nicht nur eine reine „Dokumentationsaufgabe“ – sie helfen uns dabei, Prioritäten herauszufiltern und Entscheidungen zu treffen, und unterstützen Patientinnen und Patienten in der Selbstbeobachtung. Wie können Assessments dabei helfen?

 

Was ist ein Assessment?

Ein „Assessment“ ist ein standardisiertes Untersuchungsverfahren zur systematischen Analyse und Bewertung. Es wird durchgeführt, um weniger nach Gefühl, sondern aufgrund von Daten Entscheidungen zu treffen, und im besten Fall sogar den Therapieerfolg zu messen.

Was sich auf den ersten Blick sehr theoretisch und irgendwie hölzern anhört, wird mit einem Blick auf unsere podologische Befunderhebung klarer: Diese enthält zum Beispiel das gemeinsame Gespräch, in denen uns unser „Feeling“ genauso leitet wie standardisierte Messverfahren, etwa der Stimmgabeltest, der harte Fakten liefert.

Die Vorteile liegen auf der Hand: die Stimmgabel lügt nicht. Die subjektiven Angaben unserer Patienten sind nahezu immer anders (und gefühlt besser) als die objektiven Zahlen. Solche objektiven Verfahren helfen uns, den Befund zu evaluieren. Sie liefern eine anerkannte Bezugsgröße für das Risikoprofil, und können zu jedem späteren Zeitpunkt für Vergleiche herangezogen werden.

Exemplarisch hier zwei weitere Messverfahren, die einen wichtigen Beitrag zur Fußgesundheit leisten:

 

Temperaturtagebuch

Temperaturmessungen sind in der Podologie im deutschsprachigen Raum noch weitgehend unbekannt. Dabei sind sie ein einfaches Mittel, um bei Menschen mit sensorischer Neuropathie das Auftreten von Komplikationen frühzeitig zu erkennen! Untersuchungen haben gezeigt, dass akuten Ereignissen wie beispielsweise einer aktivierten Charcot-DNOAP eine Temperaturerhöhung im Seitenvergleich von mindestens 2 Grad Celsius vorausgeht. Wenn dieses frühe Stadium bereits eine Akut-Versorgung auslöst, können schwerste, exazerbierte Fußschäden verhindert und nicht nur Leiden, sondern auch Behandlungskosten deutlich verringert werden.

  • Zur Messung wird ein digitales (Stirn-)Thermometer genutzt, das aber unbedingt auch für Oberflächentemperaturen geeignet sein muss. Reine Fieberthermometer mit dem Spektrum der Körperkerntemperatur sind für die niedrigen Fußtemperaturen nicht geeignet.
  • Die Temperatur soll täglich zum gleichen Zeitpunkt beidseits am gleichen Punkt am Fußrücken erfolgen, und dauerhaft in einem Temperaturtagebuch dokumentiert werden. Eine Differenz von mehr als 2 Grad Celsius muss schnellstmöglich ärztlich abgeklärt werden.

Das Tagebuch hat einen positiven Nebeneffekt: Ärzte nehmen Zahlen ernster als ein bloßes komisches Bauchgefühl, was die Wahrscheinlichkeit einer Diagnostik (durch den messbaren „Beweis“) erhöht.

 

 

Indikatorpflaster

Ein frühes Symptom des DFS ist die trockener werdende Haut. Was sich harmlos anhört und als normale Alterserscheinung abgetan wird, ist bei Typ-2 Diabetikern oder anderen Neuropathie-Betroffenen der Beginn der vegetativen Sudomotorikstörung mit weitreichenden Folgen: Eine raue, unelastische, dünner werdende Haut hat eine angegriffene Barriere, Fissuren und Juckreiz führen zu Eintrittspforten für Mykose und Erysipel, Hyperkeratosen begünstigen Druck-Ulzerationen und chronische Wunden.

  • Wer in einem sehr frühen Stadium sein Risikoprofil ausloten möchte, kann eine Pflastertestung mit einem Indikatorpflaster nutzen. Die Anwendung gleicht der eines herkömmlichen Pflasters, das plantar am Großzehenballen aufgeklebt wird. Ist das Reaktionsfeld komplett rosa verfärbt, sind Zustand und Schutzfunktionen der Haut intakt, und die Schweißdrüsenfunktion physiologisch.
  • Ist das Pflaster unregelmäßig verfärbt oder bleibt es blau, liegen Störungen der Hautschutzfunktionen vor. Die Haut ist zu trocken, unelastisch und der Hydrolipidfilm herabgesetzt.

Dieser Befund sollte mit dem behandelnden Arzt besprochen werden; gleichzeitig motiviert das sichtbare Ergebnis zur regelmäßigen Hautpflege.

 

 

Zusammenfassung

Neben den bekannten Sensi-Tests in der podologischen Praxis gibt es weitere verlässliche, einfache Assessments, die eine Früherkennung von Risiken messbar machen und zuhause angewendet werden können.

Ein Temperaturtagebuch eignet sich zur Früherkennung von Verletzungen bei bestehender sensorischer Neuropathie; die flächendeckende Anwendung könnte ein Meilenstein für die frühestmögliche Behandlung des Charcot Fußes sein!

Ein Indikatorpflaster eignet sich dagegen, um Patienten zur Hautpflege zu beraten und ihnen Instrumente zur Selbstbeobachtung an die Hand zu geben. Denn je früher Hautpflege zur festen Gewohnheit wird, desto länger bleibt der Fuß geschützt.

 

Quellen für Assessments zum DFS:

https://www.nai-diabetische-neuropathie.de/fachbereich-screening-diagnose.html

https://www.ddg.info/fileadmin/user_upload/05_Behandlung/01_Leitlinien/Praxisempfehlungen/2021/dus_2021_S02_Praxisempfehlungen_Diabetisches-Fusssyndom_Lobmann.pdf

Unsere Autorin

MR-2_m_m

Anja Stoffel 
Physiotherapeutin und Podologin B.Sc. und sek. HP 
Fachdozentin und Praxisanleiterin für Berufe im Gesundheitswesen, Karlstein 
www.podovision.de
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