Missempfindungen bei Neuropathie


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Zwei Dinge sehen Podologinnen und Podologen in der Praxis täglich: die Spätkomplikationen einer Neuropathie, die lebensbedrohend werden können. Die frühen Anzeichen von Nervenschäden in Form von Missempfindungen sehen wir mindestens genauso häufig; sie sind für die Podologie aber eher nebensächlich. Was wäre, wenn wir diese Beschwerden frühzeitig erkennen und abklären lassenwürden, und damit einen wichtigen Beitrag zur Prävention leisten?

 

Missempfindungen spielen eine wichtige Rolle

Jede Person, die eine Podologiepraxis zum ersten Mal betritt, sollte gewissenhaft befundet werden. Nicht nur, um die Behandlungsziele abzugleichen und Risiken einzuschätzen, sondern eben auch, um einen offenen Blick und ein offenes Ohr für Besonderheiten zu haben. Und das betrifft nicht nur Rezeptpatienten. Dadurch besteht die Chance, frühzeitig Probleme am Fuß wie zum Beispiel eine Neuropathie zu erkennen. Die Nervenfunktionsstörung entwickelt sich oft ohne Vorzeichen, quasi aus dem Nichts heraus. Da es kein offizielles Screening für die Neuropathie gibt, kann die Podologie hier einen entscheidenden Vorsorge-Beitrag leisten.

 

Missempfindungen ernst nehmen

Wenn die Nerven in ihrer Leitungsfunktion beeinträchtigt werden, kommt es zu Fehlsignalen. Wenn feine Nervenfasern unterversorgt werden und zugrunde gehen, oder bei großen Neuronen Teile der isolierenden Myelinschicht degenerieren, beeinträchtigt das die Reizweiterleitung. Um diese Lücken zu überbrücken, werden die verbleibenden Fasern aktiver. Auf dem Weg in die Taubheit beziehungsweise zum Verlust der Empfindung sind Phasen mit teilweise absurden, quälenden, überschießenden Signalen keine Seltenheit, sozusagen als letztes Aufbäumen der geschädigten Nervenbahnen. Genau in dieser „Warnstufe“ kann ärztliche Diagnostik und Behandlung der Ursache (z. B. der Stoffwechsellage) die Progredienz verzögern oder sogar aufhalten.

 

Wo sollten wir hellhörig werden?

Es gibt eine Vielzahl von Missempfindungen, die in zwei grobe Richtungen unterschieden werden: Plus- und Minussymptome. Die gefürchtete Variante ist in der Podologie die Taubheit mit einem Neglect (auch unter dem Begriff Leibesinselschwund bekannt), da sie durch unbemerkte Verletzungen die Entstehung von chronischen Wunden begünstigt.

Plus-Symptome äußern sich als Fehlsignale, von denen Kribbeln und Ameisenlaufen die geläufigsten sind. Es gibt aber viele weitere Sensationen, wie z. B.

  • Gefühl von kalten oder heißen Füßen, obwohl die tatsächliche Haut-Temperatur anders ist
  • Stromschlagähnliche Schmerzen oder Schmerzen durch die aufliegende Bettdecke
  • Pulsieren, Brennen, Nadelstiche
  • Übermäßige Empfindlichkeit, übersteigertes Schmerzempfinden
  • Gefühl, als wäre der Strumpf eng wie ein Schraubstock, ein Stein im Schuh, eine Falte im Strumpf oder als würde Wasser am Bein herunterrinnen
  • Gefühl, als wäre die Haut verdickt
  • Übermäßiger, plötzlicher Juckreiz

Zusätzlich leiden die Betroffenen häufig unter weiteren „aktiven“ Symptomen: unruhige Beine (RLS-Syndrom), Krämpfe, Faszikulationen (Mini-Muskelzuckungen), und Fußzucken während der Behandlung.

 

Verschlimmerung vor allem nachts

Neben unseren normalen „Sensi-Tests“ gibt es den Neuropathie Symptom Score, der subjektive Nerven-Fehlsignale erfasst und deren Schweregrad erhebt. Entscheidende Hinweise sind:

  • Die Lokalisation: Distal symmetrisch betonte Ausprägung bedeutet eine periphere Polyneuropathie.
  • Die Exazerbation: Die Symptome treten eher in Ruhephasen auf, und nehmen in Bewegung oder Aktivität ab.

 

Fazit

Unser Befund ist wertvoll: Wenn wir bei unseren Patienten ein offenes Ohr für die quälenden Nervenfehlsignale haben, können wir nicht nur auf eine gute Versorgung drängen und damit die Nervenfunktion und die Lebensqualität verbessern.

Darüber hinaus können wir vielleicht sogar tatsächlich das ein oder andere Leben retten: Unruhige Beine und durch Missempfindungen und Schmerzen gestörte Nachtruhe können einen fatalen Teufelskreis auslösen. Wenn wir es schaffen, durch Hinhören, Beraten und Drängen auf eine bestmögliche ärztliche Versorgung neben der Sensibilität in den Füßen auch noch das Herzinfarkt- und Schlaganfallrisiko zu senken, dann haben wir viel Leid verhindert!

 

Quellen:

Nationale Aufklärungsinitiative: So diagnostizieren Sie eine diabetische Polyneuropathie:
https://www.nai-diabetische-neuropathie.de/assets/pdfs/Diagnose-Manual-DSPN-Schritt-f%C3%BCr-Schritt.pdf (Stand 23.04.2024)

Unsere Autorin

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Anja Stoffel 
Physiotherapeutin und Podologin B.Sc. und sek. HP 
Fachdozentin und Praxisanleiterin für Berufe im Gesundheitswesen, Karlstein 
www.podovision.de
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